Lew Tolstoi "Krieg und Frieden"
Wenn man über den erschütternden Bericht von Jay Jonas über den 11. September nachdenkt, dann bekommt der ganze Schrecken dieses Tages ein menschliches Gesicht. Trotzdem gab es von ihm keinen Ruf nach Vergeltung. Der Krieg im Irak hat dieses menschliche Gesicht nicht, soweit wir die Berichterstattung in den Medien verfolgen. Er bekommt dieses Gesicht aber durch Berichte wie die von Beate Malkus aus dem Irak. Bei ihrem Beitrag stellt sich die Frage, welche Hypothek den nachfolgenden Generationen auferlegt wird, wenn Gebiete des Irak von Uranmunition verseucht sind, in denen die Bevölkerung weiterleben muss und damit doppelt zum Opfer wird : zum einen durch die langjährige Tyrannei eines Saddam Hussein, zum anderen durch die Waffen ihrer "Befreier". Auch in Deutschland sind wir weiterhin mit den Folgen des 2. Weltkriegs konfrontiert : noch immer werden Bomben aus dieser Zeit gefunden und entschärft. Was wäre, wenn diese Bomben damals mit radioaktivem Material bestückt gewesen wären ? Dieses Gesicht des Krieges wird uns jedoch verschwiegen. Opfer haben nach wie vor keine Lobby. Ebensowenig hat es eine Nachkriegszeit. Sie scheint im Vergleich zu den kriegerischen Ereignissen für eine Berichterstattung unspektakulär.
Ähnliches gilt auch für den Bericht von Irmgard von Lehsten (UNICEF) über die Kindersoldaten in Afrika, die, gewaltsam und unter Drogen gesetzt, zum Töten "erzogen" werden. Das Töten richtet sich auch gegen ihre eigenen Familien, damit die Kinder niemanden mehr haben, zu dem sie zurückkehren können. Die Tragödie dieser Kinder macht keine Schlagzeilen - bis jetzt zumindest.
Aussenminister a.D. H.-D. Genscher sprach in seiner Rede davon, dass es auf dieser Welt keine entfernten Gebiete mehr gäbe. Was bedeutet das für uns gegenüber der Gewalt, die sich in einer immer enger zusammenrückenden Welt abspielt ? Er stellte die Frage, wann der Vorkrieg begänne und beantwortete sie mit Überheblichkeit und Vorurteilen als Merkmalen einer Vorkriegssituation, die es zu überwinden gälte. Ausserdem solle in einer friedlichen "globalen Welt" die Stärke des Rechts gelten gegenüber des Rechts des Stärkeren. Welche Rechte also haben Kinder, die zum Töten gezwungen werden, und wer klagt diese Rechte für sie ein ?
Auch wenn die nachdenklichen und vielleicht düsteren Worte in der Abschlussrede von Präsident Michail Gorbatschow schnell wieder von dem Glanz des "Events" überstrahlt wurde, sollten sie nicht vergessen werden. Die Lösung von Problemen beginnt damit, dass man ihnen ins Gesicht sieht, auch wenn dies ein durchaus schmerzlicher Prozess sein kann. Durch das Anschauen verlieren Probleme auch einen Teil ihres Schreckens. Michail Gorbatschow sprach in seiner Abschlussrede von zehn verlorenen Jahren, die dazu hätten genutzt werden müssen, unsere Welt zu einem besseren und lebenswerteren Ort zu machen. Ähnlich wie auch vor ihm Lech Walesa war er der Auffassung, dass eine neue Welt nicht mit alten Methoden gestaltet werden kann. Die nukleare Abschreckung des Kalten Krieges, die das Schreckensbild einer totalen, unwiderruflichen Zerstörung unseres Planeten durch die riesigen Waffenarsenale heraufbeschwor, endete mit den friedlichen Veränderungen, die den Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer bewirkten. Aber mit dem Verschwinden alter Feindbilder wuchsen sogleich neue und die Waffen sind seitdem nicht weniger geworden.
Die globalen Umwälzungen, die diese Ereignisse mit sich brachten, haben auf lokaler Ebene zu neuen Konflikten und Kriegen geführt. Es bedarf der nachhaltigen Kräfte vieler, damit der Frieden ebenfalls zu einer Macht werden kann, wie es das Zitat von Tolstoi andeutet. Einige Säulen einer nachhaltigen Friedenspolitik sind, so jedenfalls wurde es auch dieser Konferenz deutlich, humanitäre Organisationen wie UNICEF oder ai. Ihre erschütternden Berichte über ihre Arbeit in Krisengebieten lassen ahnen, wieviel Arbeit und Energie aufgebracht werden muss, um endlich auch einem globalen Frieden ein Gesicht zu geben. In diesem Sinne bleibt zu hoffen, dass die "world peace conference" nicht nur fortgeführt wird, sondern auch weiteren Zulauf findet, dass neben den "Events" auch eine weitergehende, ernsthafte Arbeit geleistet wird.